Eine erlebnisreiche LBG-Woche in Brilon (27.8. bis 2.9.2017)
von Uta Lapp/ Eisenach
Als Lorenz Ende 2016 zum „Gebärden im Land der tausend Berge“ einlud, stand für mich fest: Da möchte ich dabei sein. Zumal es für mich die erste Reise als „Berufsurlauber“, sprich Rentner war – ohne Stress und ohne terminlichen Zwang! Zudem kannte ich diese Region überhaupt nicht und war ich gespannt und freute ich mich auf die angekündigte Kombination von Gebärdenlernen und Freizeitgestaltung.
Herzlich wurden wir (19 Teilnehmer) von Conny und Lorenz im Haus am Kurpark empfangen und erwartete uns in den Zimmern ein herzlicher Willkommensgruß sowie eine Wochenübersicht.
Nach dem gemeinsamen Abendessen fanden wir uns zu einer ersten Vorstellungsrunde zusammen und gab es organisatorische Hinweise. Was mir positiv auffiel: Solo, mit Partner, Familie, Junge und jung Gebliebene, hörend, schwerhörig, ertaubt, gehörlos, HG-Träger,CI oder beides – alles war vertreten. Dann ging es an die „Einstufung“. Bei mir relativ einfach: Anfänger. Einige waren schon erfahrener im Gebärden, wieder andere sahen sich dazwischen. Lorenz übernahm in den folgenden Tagen den Fortgeschrittenenkurs, Conny die Anfänger. Dagmar hielt sich bereit für eine eventuelle „Dazwischengruppe“.
Und dann ging es los:
Wer wollte, konnte bereits vor dem Frühstück unter Anleitung von Lorenz mit Qigong beginnen und so ganz entspannt in den Tag starten.
Ab 9 Uhr bis zum Mittagessen wurde dann täglich LBG gelernt und geübt. OK, das Fingeralphabet kannte ich bereits, doch lernte ich erst jetzt, auch sauber zu buchstabieren. Anfangs geriet ich etwas in Panik, weil es in der Anfängergruppe doch einige Teilnehmer mit größeren Vorkenntnissen gab. Doch das Verständnis untereinander und füreinander sowie die Herzlichkeit ließen die Angst schnell verschwinden. Interessant die Beweggründe und Motivation zum Erlernen der LBG. Das waren z.B. der gehörlose Freund bzw. der Arbeitskollege „Guthörender“, das Kommunizieren Hörgeschädigter und Ertaubter bzw. Gehörloser untereinander und mit Jörg, Asta und Verena war sogar eine Familie dabei, die das Gebärden nicht nur privat, sondern auch an der Arbeit nutzt. Andere Teilnehmer sehen in der LBG mehr eine Notwendigkeit.
Auch wenn das „Fingern“ am ersten Tag im Vordergrund stand, so kommunizierte Conny konsequent in LBG mit uns. Anfangs fiel es mir schwer, den Gebärden zu folgen bzw. sie alle zu merken, aber es gibt ein Sprichwort: Wiederholung ist die Mutter der Weisheit…Zum Wiederholen gab es nicht nur im Kurs Gelegenheit, sondern auch nachmittags in der Freizeit. Hier versuchten wir Anfänger teils mehr teils weniger mutig, das Gelernte anzuwenden. Die Angst, nicht richtig zu gebärden, wurde mir auch hier schnell genommen. Es gab ja „Profis“ unter uns, die Fragen beantworteten und geduldig „zeigten“, es wurde improvisiert und wurden wahrscheinlich auch neue Gebärden erfunden (?).
Begrüßen und sich vorstellen: Bis auf vier Teilnehmer hatten alle bereits eine Namensgebärde. Dabei wird der eigentliche Vorname beim Vorstellen nicht „gefingert“ sondern gesprochen und mit einer für diese Person „typischen“ Gebärde versehen.
Fingeralphabet wiederholen, W-Fragewörter, Zahlen neu hinzulernen… Dazu Vokabeln, die sich meist aus dem Gespräch ergaben, z.B. Berufe, und Urlaubslexik. Es folgten die Wochentage und Uhrzeit, erste einfache Fragen und Antworten. Manchmal entspann sich aus der Situation sogar ein Gespräch in LBG und war es überhaupt nicht schlimm, wenn mal ein Wort fehlte. Schließlich sind wir „Schlappöhrchen“ supergut im Kombinieren!
Was mir gefiel waren auch die abwechslungsreichen Übungen mit steigendem Schwierigkeitsgrad. Galt es z.B. in den ersten Stunden das gefingerte Wort zu erkennen und zu nennen oder wiederholen, so sollte die Lösung jetzt gebärdet werden. Nach jedem Tag schwirrte mir freilich erstmal der Kopf: So viel Neues!!! Und das soll ich alles behalten??? Aber wie schon erwähnt, hatten wir alle Gelegenheit, das Gelernte während des umfangreichen gemeinsamen Freizeitangebotes praktisch anzuwenden. So hatte Conny unsere Anfängergruppe z.B. ermutigt, nach der Stadtbesichtigung beim verdienten Kaffee am Marktplatz ohne Stimme zu kommunizieren, die „Fortgeschrittenen“ mit einbezogen. OK, es lockte auch ein Preis: Schaffen wir es uns eine Stunde lang ohne Stimme und mit LBG zu unterhalten, gehen Kaffee und Kuchen auf Rechnung der Lehrer! Oops, ganz ohne Stimme – ich vergaß anfangs, dass beim LBG der Mund bzw. die Lippen die Worte formen! Und meine Gebärden alleine reichten nicht zum Verstehen aus. Dann wieder kam eine kleine Abmahnung, weil meine Stimme zu hören war. (Nur ich hörte sie nicht.) Doch dann klappte es und radebrechten wir gebärdend untereinander.
Ein Dankeschön an dieser Stelle Manfred Eigner, der uns mit viel Wissen und Herz Brilon und Umgebung nahe brachte. So erfuhren wir z.B. dass Brilon die waldreichste Stadt Deutschlands ist. Holz und holzverarbeitende Industrie (z.B. das größte Spanplattenwerk Europas) spielen hier eine sehr wichtige Rolle. 2007 vernichtete der Orkan Kyrill so viel Wald wie sonst in 10 Jahren abgeholzt worden wäre. Daran erinnert heute das Kyrill-Tor, bestehend aus 14 massiven Fichtenstämmen mit einer Länge von jeweils 20 Metern. Zuvor erwanderten wir unter Manfreds Führung den „Landschaftstherapeutischen Pfad“, machten Halt an einer Möhnequelle, genossen den Blick von einer nicht mehr existierenden Schanze und wurden nach einem weiteren Aufstieg im Briloner Bürgerwald mit erfrischenden Getränken und selbstgebackenem Kuchen überrascht.
Ein weiterer Ausflug führte uns tags darauf auf den Diemelsee, wo wir in runden Diemel-Donuts treibend (nein, sie wurden gesteuert) Wasser und Landschaft genießen konnten. Wegen der günstigen Wetterlage (für die zweite Wochenhälfte wurden Abkühlung und Regen vorausgesagt) steuerten wir auch noch Willingen und die legendäre „Mühlenkopfschanze“ an. Leider hatte der Aufzug schon Feierabend. Dennoch ließen es sich einige nicht nehmen, den Ausblick per Treppensteigen sportlich zu erobern. Zwischen Auslauf und Anlaufturm beträgt der Höhenunterschied immerhin 120 Meter.(Ich bin bis zum Schanzentisch gekommen und habe 446 Stufen gezählt.)
Am Donnerstag ging es am Nachmittag in das Besucherbergwerk Kilianstollen. Zum Glück waren wir vorgewarnt was die Temperaturen dort betrifft. Unser Bergwerkführer ließ uns die Geschichte und das Leben der im Stollen arbeitenden Menschen nachvollziehen. Sprachlich eine große Herausforderung für Hörgeschädigte waren allerdings die Lichtverhältnisse und das Sprechtempo.
Die Woche verging wie im Fluge: LBG und Urlaub, Lernen miteinander und voneinander, Anwendung des Erlernten im Alltag, neue Freundschaften, interessante Themen und auch der Erfahrungsaustausch kam nicht zu kurz.
Zu Wochenbeginn hatten wir unsere Erwartungen und Wünsche an das Seminar notiert und konnten diese fast alle erfüllt werden. Beim geselligen Zusammensein an den vorangegangenen Abenden fanden sich auch für die noch „Namenlosen“ entsprechende Namensgebärden. (Kleine Anmerkung am Rande: Alle Freizeitaktivitäten waren „optional“. Heißt: alles darf, nichts muss…)
Die Woche klang aus mit einem wunderschönen Abschlussabend auf Manfreds „Ranch“. Gemeinsam mit Frau Jutta hatte er eine zünftige Grillparty samt wärmendem Holzfeuer vorbereitet und gab es Dankesreden, Blumen und Geschenke für unvergessliche Tage.
Vor der Abreise setzten wir uns noch zu einer Feedbackrunde mit überaus positiver Resonanz zusammen bevor sich alle wieder auf den Heimweg machten. Ein Erinnerungsfoto sowie der Sauerlandkurier vom 30.08.2017 mit Bericht und Bild zu unserer Gruppe auf der Titelseite, Infomappe, Teilnahmebestätigung und zahlreiche Eindrücke nehme ich mit. Auch den Vorsatz, zu Hause weiter zu üben und Möglichkeiten zum Anwenden zu finden.
Ein ganz großes Dankeschön an Conny Pallas und Lorenz Lange, die es möglich gemacht haben, Menschen mit und ohne Hörschädigung gemeinsam mit Freude und Spaß in diesem LBG-Kurs zusammenzubringen. Neulinge wie ich konnten von den Erfahrungen und dem Können der „Profis“ im LBG viel lernen.
Gern würde ich nächstes Jahr wieder kommen bzw. ähnliche Veranstaltungen nutzen.